Moritz Firsching sucht einfache Modelle von komplizierten Räumen

BLOG: Heidelberg Laureate Forum

Laureates of mathematics and computer science meet the next generation
Heidelberg Laureate Forum

Zum ersten Mal findet das Heidelberg Laureate Forum in diesem Jahr statt. Im Gegensatz zum Lindauer Nobelpreisträger Treffen werden hier allerdings Preisträger aus den Bereichen der Mathematik und Informatik eingeladen. Diese Preise (Abel Preise, Fields Medaille, Nevalinna Preis und Turing Award) gelten unter Wissenschaftlern als ebenso prestigeträchtig wie der Nobelpreis. Wieso Alfred Nobel keinen (Nobel-)Preis für Mathematik und Informatik auslobte ist umstritten – eine kurze Zusammenfassung kann hier nachgelesen werden. Zusätzlich zu den Preisträgern werden auch 200 ausgewählte Nachwuchswissenschaftler aus aller Welt an diesem Treffen teilnehmen. Mit einem von ihnen, Moritz Firsching, habe ich mich vor dem großen Event getroffen, um herauszufinden, wie sie denn “tickt”, die nächste Generation unserer Forscher-Elite.

 

Moritz Firsching promoviert in Mathematik an der FU Berlin
© Moritz Firsching

Moritz, du hast in Bonn Mathematik und Informatik studiert. Jetzt bist du in der Arbeitsgruppe “Diskrete Geometrie” von Prof. Günter Ziegler an der FU Berlin, und arbeitest an deiner Promotion. Weshalb hast Du Dich überhaupt für Mathematik entschieden?

Ich fand Mathematik schon in der Schule am interessantesten. Ich habe damals bereits an der Mathematik Olympiade teilgenommen und war von dem Fach begeistert. Gleichzeitig hatte ich oft das Gefühl, dass wir in der Schule irgendwie “betrogen” wurden, da die Lehrer uns nicht immer alles zu einem Thema erzählten. Zum Beispiel wurde uns nie richtig erklärt, was eine reelle Zahl eigentlich ist. Wenn ich nicht Mathe studiert hätte, würde ich mich vermutlich immer noch fragen: “Wie macht man so etwas eigentlich richtig?” Außerdem wurde mir damals gesagt, dass man speziell im Mathestudium sehr schnell merkt, wenn es nichts für einen ist. Glücklicherweise war ich nach dem ersten Semester überzeugt, dass ich das richtige Fach gewählt hatte.

Das Gleiche könnte man vermutlich auch über Physik oder Chemie sagen…

Stimmt. Aber gerade Physik war für mich irgendwie zu “unübersichtlich” – es gibt da so viele verschiedene Themen. Mittlerweile denke ich aber, es würde sich auch lohnen, Physik zu verstehen… (lacht). Schade finde ich allerdings, dass während des Mathestudiums nicht mehr Anwendungen aus anderen Fachgebieten wie zum Beispiel der Physik betrachtet werden. Eigentlich hat man als Mathematiker doch das nötige Rüstzeug wie etwa die Differenzialgeometrie um die Relativitätstheorie zu verstehen. Die Abgrenzung könnte vermutlich daher kommen, dass Mathematiker und Physiker oft eine andere Sprache sprechen. Trotzdem sollte jeder Mathematiker Interesse etwa für Berechnungen in der Astronomie aufbringen. Es gibt berühmte Beispiele. Gauss etwa war Mathematiker und Physiker.

Würdest du sagen, dass Anwendungen im Mathematik-Studium zu kurz kommen?

Vielleicht. Aber was sollte man dafür weglassen? Viele Gebiete im Mathe-Studium kommen zu kurz. Nehmen wir mal die numerischen Verfahren. Gelehrt wird umfangreiche Theorie, aber konkret auf ein “echtes” Problem angewandt haben wir das – zumindest in Bonn – eigentlich nicht. Ich persönlich bin daran interessiert Dinge auszuprobieren oder zu programmieren. Dafür hatte ich während des Studiums aber einfach keine Gelegenheit. Mittlerweile schon eher.

Du promovierst im Bereich Diskrete Geometrie. Was erforscht du?

Grundsätzlich geht es darum, topologische Methoden im Bereich der diskreten Geometrie anzuwenden – da gibt es sogar ein anschauliches Filmchen “Eine Reise durch die diskrete Geometrie” dazu. Spannend daran ist die Verbindung: in der diskreten Geometrie beschäftigt man sich mit geometrischen Objekten, die man mit endlich vielen kombinatorischen Bedingungen beschreiben kann. Manche auf den ersten Blick eher theoretischen Resultate in der Topologie können dann dazu benutzt werden, um etwas über diese Objekte herauszufinden. In gewisser Weise geht es also um praktische Anwendungen der Topologie.

Was genau meinst Du mit “praktisch”?

Nehmen wir das Ham-Sandwich Problem: Hier geht es um die Fragen, ob man ein Schinken-Sandwich mit einem Schnitt so zerteilen kann, dass jede Hälfte aus jeweils genau gleich viel Brot und Schinken besteht. Das kann ist in zwei Dimensionen sehr schön mit Hilfe des Zwischenwertsatzes lösen. In höheren Dimensionen wird das schwieriger. Dann braucht man Werkzeuge aus der Topologie. Mit denen sind sogar irgendwo im Raum liegende, pulverisierte Sandwich-Komponenten denkbar, die man dann immer noch in zwei gleiche Stücke aufteilen kann.. Zugegebenermaßen ist das nicht so praxisnah und sofort in einem Industrieprojekt einsetzbar. Vor allem weil die Tatsache, dass es einen Schnitt gibt, der das Sandwich teilt, einem noch lange keine Anleitung dafür gibt, wie man einen solchen Schnitt tatsächlich finden kann.

Und woran arbeitest du konkret?

Eigentlich mache ich etwas, das auch in deutlich praxisbezogeneren Fächern wie der Biologie gemacht wird. Wir entwickeln vereinfachte Modelle von etwas deutlich Komplizierterem. In unserer Arbeit geht es dabei allerdings nicht etwa um Modelle von Krankheiten, sondern um mathematische Räume. Die Idee dabei ist, dass bestimmte Theorien nur für spezielle Räume funktionieren. Nehmen wir einen Raum A, auf den wir gerne eine Theorie T anwenden wollen. T wurde aber nur für einen Raumtyp B entwickelt und funktioniert nicht für A; oder es gibt jedenfalls noch keinen Beweis dafür. Ich versuche nun eine Abbildung zu finden, mit der sich A auf B abbilden lässt, damit ich meine Theorie T auch für A anwenden kann. Dabei ist es schwierig eine gute Abbildung zu finden, bei der möglichst viele Eigenschaften erhalten bleiben.

Klingt interessant. Aber ich habe gerade verstanden, dass wir doch recht unterschiedliche Ansichten vom Begriff “praktisch” haben…

(lacht) Ja, man könnte sagen, dass wir eigentlich doch eher reine als angewandte Mathematik betreiben. Auch der Begriff “Modell” wird wohl unterschiedlich interpretiert. Allerdings sehen einige meiner Kollegen, die sich mit Modellkategorie beschäftigen, meine Arbeit als recht angewandt an.

Was erwartest du vom HLF?

Eigentlich freue ich mich am meisten darauf, mit den Preisträgern über eher grundsätzliche Dinge zu sprechen und deren Meinung zu hören. Mich interessiert zum Beispiel deren Motivation Wissenschaft zu betreiben. Wieso machen die das eigentlich? Eine andere Frage ist, ob sich deren Motivation über die Zeit verändert hat? Spannend finde ich auch das “Aufeinandertreffen” von verschiedenen Generationen und Bereichen, zum Beispiel theoretischen Mathematikern und angewandten Informatikern. Am meisten interessieren mich also die Menschen.

Das ist ein schönes Schlusswort. Moritz, vielen Dank für deine Zeit und ich wünsche viele interessante Gespräche in Heidelberg!


Anmerkung

Zur Vorbereitung auf mein Treffen mit Moritz Firsching hatte ich ihn gebeten, mir eine kurze Beschreibung über seine wissenschaftlichen Interessen zu senden. Obwohl ich auch im Bereich der (angewandten) Mathematik angesiedelt bin, konnte ich mit dem folgenden allerdings weniger anfangen, als erhofft:

 

I am interested in topological methods in discrete geometry. On the first glimpse on could ask: What is the connection between discrete structures and topology, a subject which is generally associated with the study of continuous objects. But right at the intersection of these two topics fruitful research can be done. Quite often a transition from discrete problems to topological ones and vice versa can cut to the core of the issue. The most classical example of this is perhaps the Euler characteristic, which is central both in the study of polyhedra and homology. More specifically I am concerned with the application of equivariant obstruction theory of a variety of problems in discrete geometry, for example partition problems.

 

“Aha” dachte ich mir – von den “partition problems” hab’ ich schon gehört – z.B. im Zusammenhang mit der Aufteilung von UMTS Antennen, damit sich deren Funkzellen nicht überlagern. Solche Probleme werden beispielsweise am Berliner MATHEON erforscht. Dass dies – wie so oft in der Wissenschaft – nicht unbedingt das Gleiche sein würde, womit Moritz sich beschäftigte, war mir nur so halb klar. Ich sollte es bald merken…

 

Avatar photo

Posted by

studierte Bioinformatik und Computerwissenschaften an der Freien Universität Berlin und der Monash University Melbourne, Australien. Deinen PhD machte er an der „Berlin Mathematical School“. Seit 2006 ist der CEO eines kleinen Unternehmens im Bereich Lebenswissenschaften und seit 2008 Leiter der Arbeitsgruppe „Computational Proteomics“ an der FU Berlin. Er mag es über sein Fachgebiet zu kommunzieren und wurde im Jahr 2009 mit dem Klaus-Tschira-Preisträger für verständliche Wissenschaft “KlarText!” ausgezeichnet.

Leave a Reply


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +